GerichtEntscheidungDatumAkten-zeichenSachgebietVorschriftenamtlicher Leitsatz
SächsOVGUrteil2/7/20234 A 170/20Verwaltungsprozessrecht§ 121 Nr 1 VwGO, § 155 Abs 3 AO, § 3 Abs 1 Nr 4c SächsKAG, § 36 SächsKAG1. Eine den Normenkontrollantrag ablehnende Entscheidung ist nicht allgemeinverbindlich. Sie entfaltet aber gemäß § 121 Nr. 1 VwGO materielle Rechtskraftwirkung zwischen den Beteiligten und ihren Rechtsnachfolgern. Das gilt gleichermaßen für erneute Normenkontrollanträge wie Inzidentprüfungen.

2. Die Bindungswirkung erstreckt sich auch auf Einwände, die in späteren Verfahren erstmalig vorgetragen werden, soweit keine Änderung der Sach- und Rechtslage vorliegt.

3. Werden entgegen der Regelung in der Satzung Flurstücke statt Grundstücke zur Abgabe herangezogen, führt dies dann nicht zur Aufhebung des Bescheides, wenn das Grundstück nur aus einem Flurstück besteht.

4. Der Erlass eines zusammengefassten Abgabenbescheides ist zulässig. Werden mit einem solchen Bescheid mehrere Grundstücke veranlagt, muss für jedes Grundstück jeweils eine Abgabe gesondert festgesetzt werden.
BVerwGUrteil4/26/20236 C 8.21PolizeirechtArt 5 Abs 1 S 1 GG, Art 5 Abs 2 GG, Art 21 GG, § 108 Abs 1 S 1 VwGO, § 113 Abs 1 S 4 VwGO, § 137 Abs 2 VwGO1. Aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG ergeben sich spezifische Anforderungen nicht nur an die Auslegung und Anwendung grundrechtsbeschränkender Gesetze, sondern bereits an die ihr vorgelagerte tatrichterliche Interpretation umstrittener Äußerungen.

2. Maßgeblich bei der Ermittlung des Inhalts einer Meinungsäußerung ist weder die subjektive Absicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis der von der Äußerung Betroffenen, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums objektiv hat (im Anschluss an BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 1995 – 1 BvR 1476, 1980/91 u. a. – BVerfGE 93, 266 <295>).

3. Bei mehrdeutigen Äußerungen haben Behörden und Gerichte sanktionsrechtlich irrelevante Auslegungsvarianten mit nachvollziehbaren und tragfähigen Gründen auszuschließen, bevor sie ihrer Entscheidung eine zur Anwendung des Straftatbestands der Volksverhetzung führende Deutung zugrunde legen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. September 2009 – 2 BvR 2179/09 – NJW 2009, 3503).
BVerwGUrteil2/2/20235 C 8.21Verwaltungsprozessrecht§ 130a S 2 VwGO, § 130a S 1 VwGO, § 125 Abs 2 S 3 VwGO, § 108 Abs 2 VwGO, Art 101 Abs 1 S 2 GG1. Eine mündliche Anhörung kann nur dann den Anforderungen des § 130a Satz 2 i. V. m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO genügen, wenn sie vom Gericht aktenkundig gemacht und den Beteiligten zur Kenntnis gebracht worden ist.

2. Hat sich die Prozesssituation durch eine entscheidungserhebliche Änderung der Rechtslage wesentlich geändert, ist das Oberverwaltungsgericht verpflichtet, die Beteiligten erneut gemäß § 130a Satz 2 i. V. m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO anzuhören, wenn es daran festhalten will, im Beschlussverfahren nach § 130a Satz 1 VwGO zu entscheiden.

3. Hat das Oberverwaltungsgericht nach § 130a Satz 1 VwGO ermessensfehlerhaft ohne mündliche Verhandlung entschieden, verletzt dies nicht nur den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs, sondern kann auch gegen das Recht der Beteiligten auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verstoßen und damit einen absoluten Revisionsgrund im Sinne des § 138 Nr. 1 VwGO begründen, wenn der Verfahrensverstoß zu einem Besetzungsfehler führt, weil Landesrecht für das Beschlussverfahren eine andere Besetzung des Gerichts vorsieht als für das Urteilsverfahren.
OVG NRWBeschluss5/12/202318 E 333/23Verwaltungsprozessrecht § 67 Abs 2 S 2 Nr 2 VwGO, § 67 Abs 4 VwGOEin Familienangehöriger als Prozessbevollmächtigter nach § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 VwGO kann eine Klägerin auch im Beschwerdeverfahren betreffend die Gewährung von Prozesskostenhilfe vor dem Oberverwaltungsgericht nicht vertreten.
SächsOVGUrteil11/24/20221 C 87/21Baurecht§ 47 VwGO, § 215 BauGB, § 41 BImSchG, § 43 16. BImSchVBeim Erlass eines Bebauungsplans eröffnen § 41 BImSchG und die auf der Grundlage von § 43 Abs. 1 Satz 1 BImSchG erlassene 16. BImSchV der planenden Gemeinde keinen planerischen Gestaltungsspielraum. Ob Maßnahmen des aktiven Schallschutzes für Bestandsbebauung zu ergreifen sind, hängt als Ergebnis einer gebundenen Entscheidung davon ab, ob die in § 41 BImSchG genannten Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind (wie BVerwG, Urt. v. 28. Januar 1999, BVerwGE 108, 248, Leitsatz 2).
SächsOVGBeschluss9/15/20221 A 189/22.AVerwaltungsprozessrecht§ 55a VwGO, § 55d VwGO, § 60 VwGOEine vorübergehende Unmöglichkeit der Übermittlung eines elektronischen Dokuments i. S. v. § 55d Abs. 3 Satz 4 VwGO liegt nur vor, wenn die notwendigen technischen Einrichtungen funktionsfähig vorhanden waren und es im Anschluss zu technischen Ausfällen kommt.
BVerwGUrteil11/30/20226 C 10.21DatenschutzrechtArt. 12 DS-GVO, Art. 15 DS-GVO1. Die in einer berufsbezogenen Prüfung unter einer Kennziffer angefertigten schriftlichen Prüfungsleistungen und die zugehörigen Prüfergutachten stellen jeweils ihrem gesamten Inhalt nach personenbezogene Daten des Prüflings dar (wie EuGH, Urteil vom 20. Dezember 2017 – C-434/16 [ECLI:EU:C:2017:994], Nowak -).

2. Der Prüfling kann von der Prüfungsbehörde nach Art. 15 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Art. 12 Abs. 5 Satz 1 DSGVO die Überlassung einer unentgeltlichen Kopie dieser Unterlagen verlangen.
Zum Wahlrecht bezüglich des örtlich zuständigen Gerichts bei datenschutzrechtlichen Klagen gegen den Verantwortlichen oder Auftragsverarbeiter. (HessVGH, 01.12.2022, 10 B 1898/22, Rn. 5; Art. 79 Abs. 2 DS-GVO, Art. 82 DS-GVO, § 44 Abs. 1 S. 2 BDSG)
Innerhalb der Frist des § 60 Abs. 2 S. 1 VwGO ist eine substantiierte und schlüssige Darstellung der für die Wiedereinsetzung wesentlichen Tatsachen erforderlich; dabei müssen sämtliche Umstände, die für die Frage von Bedeutung sind, auf welche Weise und durch wessen Verschulden es zur Fristversäumnis gekommen ist, innerhalb der Antragsfrist dargelegt werden. (OVG Hamburg, 26.10.2022, 6 Bf 137/22, Rn. 17, anschließend an BVerwG, 23.2.2021, 2 C 11.19, § 60 Abs. 1, 2 S. 1 VwGO, § 85 Abs. 2 ZPO)
Kein Bestreiten des Zugangs bei fehlender Vorlage der Posteingangsdokumentation einer Behörde ohne Entschuldigung. (BVerwG, 21.09.2022, 8 C 12/21, § 60 Abs. 1 VwGO, § 60 Abs. 2 VwGO, § 86 Abs. 1 S 1 HS. 2 VwGO, § 14 Abs. 3 VwVfG, § 41 Abs. 1 S. 1 VwVfG)
Keine Wahrung der gesetzlich vorgeschriebenen Form durch Telefax oder Postsendung. (SächsOVG, 15.09.2022, 1 A 189/22.A, § 55d S. 1 VwGO, § 55d S. 3 VwGO, § 55a Abs. 4 VwGO, § 55a Abs. 6 VwGO, § 60 VwGO)
Vorrangigkeit der Glaubhaftmachung der vorrübergehenden technischen Unmöglichkeit mit Ersatzeinreichung (Rn. 6); Keine Unverzüglichkeit der Nachholung nach Ablauf einer Woche (Rn. 10); Erforderlichkeit der Erläuterung eines technischen Hinderungsgrundes. (OVG-Rheinland-Pfalz, 08.08.2022, 8 A 10330/22 juris, vgl. OVG-Schleswig-Holstein, 13.06.2022, 1 LA 1/22 (§ 124a Abs. 4 S. 1 VwGO, § 55d S. 3 VwGO, § 55d S. 4 VwGO)
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